Du, wir müssen reden!

Das Herz klopft wie verrückt. „Der Kollege Jens Spahn von der CDU/CSU-Fraktion wird das Wort erhalten. Er hält seine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich bitte um Aufmerksamkeit“, sagt der Vizepräsident des Bundestags, Hermann Otto Solms. Jens Spahn, damals 22 Jahre alt, tritt an das Rednerpult. Im Hintergrund der Bundesadler, der Kanzler und seine Minister, vor dem Rednerpult über sechshundert Bundestagsabgeordnete. Oben auf den Tribünen die Kameras der Journalisten. Es ist das Jahr 2003 und genau Uhr. Als junger Politiker soll Jens in der Haushaltsdebatte dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder die Leviten lesen. „Natürlich war ich damals sehr nervös“, erzählt der.

Nach knapp neun Minuten ist es vorbei. Die Abgeordneten klatschen, Phönix überträgt die Bilder in die ganze Republik. Am Abend in den Nachrichten sieht man nur andere Redner der Debatte. Jens war zufrieden: „Die erste Rede hat Spaß gemacht und ich habe richtig Lust darauf bekommen, öfter zu reden.“ Dazu hat er als Abgeordneter immer wieder Gelegenheit, den die Reden im Bundestag gehören zu unserem politischen System. Doch bei vielen Reden ist der Plenarsaal leer, kein Journalisten hören zu und auch bei Phönix schauen um ein Uhr nur Leute zu, die nicht schlafen können. Zudem sind die Entscheidungen über die Themen, die im Parlament beraten werden schon in Ausschüssen und den Fraktionen gefallen. Es ist klar, welche Partei dafür oder dagegen stimmt. Wozu dann noch große Reden schwingen? Jeder Politiker weiß, dass er mit seiner Rede den politischen Gegner nicht überzeugen kann. Die Rede richtet sich viel mehr an die eigene Partei und über die Medien an die Öffentlichkeit. In den Bundestagsdebatten soll die Regierung ihre Politik vor den Wählern erklären und legitimieren. Oft bleibt aus einer langen Rede ein kurzer Satz übrig, der in den Nachrichten zu sehen ist. Bei einer Rede im Bundestag gibt es genaue Regeln: Die Redezeit ist festgelegt, sie darf nicht länger als 15 Minuten dauern. Die Geschäftsordnung des Bundestages regelt das. Der Bundestagspräsident achtet darauf das diese Regeln eingehalten werden. Spricht jemand nicht zu seinem Thema, kann ihm das Wort entzogen werden. Und wer sich nicht daran hält oder daneben benimmt, der muss den Saal verlassen. So richtig turbulent geht es selten zu. „Es ist doch immer dieselbe alte Scheiße, die hier erzählt wird!“, hatte Helmut Schmidt einmal in den Saal gerufen. Doch solche Auseinandersetzungen sind seltener geworden.

Was geblieben ist, ist die Regel, dass die Rede grundsätzlich als freier Vortrag gehalten werden soll, Aufzeichnungen dürfen aber benutzt werden. Jens Spahn hat mittlerweile Routine bekommen. „Heute spreche ich auch grundsätzlich frei, bei meiner ersten Rede hatte ich noch ein voll ausformuliertes Manuskript.“

Agnieszka Malczak ist seit der letzten Bundestagswahl für die Grünen im Parlament. Im September 2009 gewählt durfte sie Anfang Dezember schon ihre erste Rede halte. Es ging um den Abzug Amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland. “In mehreren Schritten habe ich den Entwurf immer weiter verfeinert. Danach habe ich mich durch das Vortragen im Büro auf das Halten der Rede, aber auch das Einhalten der Redezeit vorbereitet“, erzählt die 25-jährige. “Man spürt einfach wie besonders es ist, an dieser Stelle als Volksvertreterin sprechen zu dürfen. Dadurch stellt sich automatisch eine gewisse Nervosität und Anspannung ein“, sagt sie. So geht es auch Jens: “Ein wenig Nervosität gibt es immer noch, die muss auch sein.“

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