Marcus Tullius Cicero: de re publica, Die Staatsdefinition

Scipio: Ich will eueren Wunsch erfüllen, so gut ich kann, und unter der Forderung in die Erörterung eintreten, die man meines Erachtens bei allen Erörterungen erheben muss, wenn man einen Irrtum vermeiden will: Wenn Einigung erzielt ist, wie der Begriff der Sache lautet, die erörtert werden soll, ist zu erklären, was mit diesem Begriff gemeint ist. Erst dann darf man in das Gespräch eintreten. Denn niemals wird man den Kern des Diskussionsgegenstandes verstehen können, wenn man nicht zuvor versteht, was es genau ist, was man erörtert.

Als Laelius zugestimmt hatte, sagte Scipio: Ein so einleuchtendes und so bekanntes Thema werde ich nicht so abhandeln, dass ich mich jenen Grundlagen zuwende, mit denen sich die Gelehrten in diesen Dingen beschäftigen, so dass ich mit der ersten Vereinigung von Mann und Frau anfinge, dann mit der verwandtschaftlichen Weiterentwicklung und zu jeder Einzelheit häufiger bestimmte, was sie meint und auf wie viele Arten sie ausgedrückt werden kann. Da ich vor klugen Männern spreche, die sich im größten Staat in Krieg und Frieden höchsten Ruhm erworben haben, will ich es nicht so weit kommen lassen, dass der Gegenstand, über den ich zu reden habe, für sich schon einleuchtender ist als meine Ausführung. Denn ich habe mich nicht dazu bereitgefunden, wie ein Lehrer alles durchzuhecheln, und verspreche nicht, auch nicht den kleinsten Teilaspekt in diesem Gespräch auszulassen.
Darauf Laelius: Gerade diese Art der Gesprächsführung, wie du sie versprichst, erwarte ich.

Es ist also, sagte Africanus, ein Staat die Sache des Volkes; Volk aber ist nicht jede beliebig zusammengewürfelte Anhäufung von Menschen, sondern der Zusammenschluss einer größeren Zahl, die durch eine einheitliche Rechtsordnung und ein gemeinsames Staatsziel zu einer Gesellschaft wird. Der primäre Antrieb zum Zusammenschluss ist weniger die Schwäche als die gleichsam natürliche Veranlagung dazu; denn der Mensch ist nicht als isolierter Einzelgänger, sondern so geschaffen, dass er nicht einmal im Überfluss an allem

Solche Zusammenschlüsse von Menschen also, die sich aus dem dargelegten Grund bilden, bestimmten zunächst, um dort zu wohnen, ein Staatsgebiet. Sobald sie es aufgrund örtlicher Gegebenheiten und durch zusätzliche Anlagen befestigt haben, nennen sie eine solche Ansammlung von Häusern Flecken oder Stadt. Sie ist durch Tempel und öffentliche Plätze gegliedert. Jedes Volk also, das ein Zusammenschluss ist, wie ich ihn dargelegt habe, jede Bürgerschaft, die die verfassungsmäßige Einrichtung eines Volkes ist, jeder Staat, der, wie ich gesagt habe, die Sache des Volkes ist, muss, um dauerhaft zu sein, durch eine planende Instanz gelenkt werden. Diese Planungsinstanz muss aber immer auf den Grund bezogen bleiben, der die Bürgerschaft ins Leben gerufen hat.

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