Kurt Weidemann. Foto: Julia Kneuse.
Kurt Weidemann. Foto: Julia Kneuse.

„Aller Anfang ein weißes Blatt Papier und ein Bleistiftstummel“

Kurt Weidemann. Foto: Julia Kneuse.
Kurt Weidemann. Foto: Julia Kneuse.

Grafikdesigner, Typograph, Autor, Lehrer oder Berater in Gestaltungsfragen? Der Versuch Kurt Weidemann auf etwas festzulegen fällt schwer. Viel hat der 88jährige in seinem Leben gemacht. Heute ist er so etwas wie der Grand Senieur der Deutschen Typographie Szene – und ein Freund, klarer Worte. So geißelt er „Konjunktiv-Großverbraucher“ und die „Wortlawinen“, die täglich über uns herein brechen. Mit papierlosen Büros kann er nichts anfangen, genau so wenig wie mit Leute, die jeden Satz mit „ich persönlich“ beginnen.

Weidemann ist Minimalist. 30.000 Schriften gibt es auf dem Markt. „Dagegen ist der Quellekatalog ein Schulbuch“, so der Typhograph. Die meisten Schriftarten würde niemand vermissen. Denn ein guter Typograph, so Weidemann, komme mit rund 25 Schriften aus. Überhaupt ist für ihn weniger mehr. „Ein gutes Zeichen muss man mit einem Zeh in den Sand zeichnen können“, ist eine seiner Regeln. Nach diesem Maßstab entwarf er die Erscheinungsbilder für große Unternehmen. Beispielsweise bei Porsche, Merk oder der Deutsche Bahn.

20 Minuten für das Bahn-Logo

An dem Logo der Bahn arbeitet der gelernte Schriftsetzer 20 Minuten, gibt er zu. Der Grund waren die Vorgaben. Die Buchstaben D und B in rot und weiß in einem Kasten mit abgerundeten Ecken, so lautete der Text in der Ausschreibung. Diese Aufgabe zu lösen war natürlich kein Problem für Weidemann, der selbst bekennender Porschefahrer ist. Auch wenn er mittlerweile den Wagen an seinen Sohn übergeben hat und lieber mit Bus und Bahn fährt. Nach wie vor ist Weidemann viel unterwegs. Seine Meinung ist gefragt, sein Tagesablauf stramm organisiert. „Ich stehe um fünf auf, auch wenn ich um drei mit drei Promille ins Bett gehe.“ Mit dieser schonungslosen Offenheit hinterlässt er beim Zuhörer manchmal mehr Fragen als Antworten.

Weidemann wurde in Ostpreußen geboren. Nach Krieg und Gefangenschaft in Russland und seiner Schriftsetzerlehre studiert er an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart. Sein Briefpapier zeigt einen Hofnarren. Vielen hält er heute den Spiegel vor, und Vorstände großer Unternehmen schätzen bis heute seine Meinung.

Aus dem typographischen Handwerkt hat er eine Kunst gemacht. Und so inszeniert er sich auch als Künstler. Rote Schuhe, bunte Weste und ein schwarzer Schlapphut. Das faltige Gesicht ragt mit einer markanten Nase darunter hervor.

Ziemlich weit links

Wo er politisch steht? „Ich war schon so weit links, dass ich bei Franz-Josef Strauß wieder rausgekommen bin“, sagt er. Eine typische Weidemann Antwort. Die politische Kommunikation findet er „mehr oder weniger minderwertig.“ Wenn es doch mal etwas treffend sei, dann sei dies ein Zufall.

Und auch bei den Schriften machen sich die Parteien zu wenig Gedanken. Das gesamte politische Spektrum verwendet momentan serifenlose Schriften. Also ehr schlichte, schnörkellose Schriften. Halbfett, Fett oder Normal ist dabei fast das anzeige Unterscheidungsmerkmal das zwischen den Parteien bleibt.

Für Weidemann hängen alle damit mindestens zehn Jahre der Entwicklung hinterher. Denn das oberste Gebot sei die Lesbarkeit. Und diese ist bei Schriftarten mit Serifen besser. Zur CDU würde eine klassische Antiqua-Schriftart passen, denn auch die Partei sei ehr traditionell. Für die FDP und Guido Westerwelle empfiehl der Experte hingegen etwas „sehr individuelles.“

Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte sorgte zwar dafür, dass es so einfach ist wie nie, mit Schriftarten zu gestalten. „Jeder Computer kann heute seinen Besitzer zu einem Verleger mache“, so Weidemann. Doch mit dem Computer ist auch das haptische des Schriftsetzens verloren gegangen. Es gebe keine guten Lehrer in diesem Bereich, bemängelt der Experte. Und auch die Arbeitsbedingungen haben sich geändert. „Früher haben Verlage noch viel Geld für einen Schriftsatz und dessen Schriftsetzer ausgegeben. Heute macht jeder, der auf dem Computer etwas einhacken kann, seinen eigenen Stil. Da geht es nicht mehr um handwerkliche Kriterien, die sich an der Lesbarkeit eines Textes orientieren.“ Auch wenn es so viele Schriftarten gibt wie nie, die Zeiten sind typographieloser geworden.

Was hinzu gekommen ist, ist das Internet. „Das Internet sollte mit so wenig wie möglich Schriften auskommen“, sagt Weidemann. Doch während Ehrensenator der staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart auch für die neuen Medien Minimalismus predigt, wandern fast täglich neue Schriften in das Netz. Und dabei, so Weidemann, ist doch „aller Anfang ein weißes Blatt Papier und ein Bleistiftstummel.“ Kurt Weidemann starb am 30. März 2011.

 

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