Die Eifersucht der Anti-Religösen

Ebenso der Atheismus, der Religion als infantile Neurose ablehnt, wirbt als Institution auf Plakaten mit “Es gibt keinen Gott! Werte sind menschlich. Auf uns kommt es an!” für mehr Anhänger. Atheistische Gruppen treten immer radikaler auf. Sie beanspruchen, die Wahrheit zu sein. Atheisten missionieren und versuchen eine Alternative zum religiösen Lebensstil zu sein. Gibt es da etwa einen anti-religiösen Neid? Auch Atheisten sehnen sich unbewusst nach Transzendenz. Sie zeigen sich bewusst kompromisslos nach außen, indem sie die Abschaffung von Religion fordern. Was sie hingegen nicht bedenken, ist, dass in dem Moment, wo Religion abgeschafft wäre, kein leerer Raum entstehen würde. Stattdessen versuchen wir Menschen immer eine Leere mit anderen Dingen zu füllen. Wir erschaffen uns Ersatzreligionen, die aus Konsum, Arbeit, Politik oder unseren Hobbies geformt werden und uns kurzfristig Freude bescheren.

Für die Ausbreitung der Religionsverdrossenheit gibt es vielerlei Ursachen. Eine der größten Ursachen war die Verdammung der Naturwissenschaften durch die Kirche selbst. In der Folge des Bildungsfortschrittes in Europa sahen die Geistlichen der Kirchen ihre Macht und ihren Einfluss in Gefahr. Sie brandmarkten all die neuen Erkenntnisse der Wissenschaften über die Erde, über die ihre Heilige Schrift schwieg als „gottlos“, als „Sünde“ und beschuldigten die neuen Welterklärer der „Ketzerei“. Mit wachsenden Erkenntnissen bestärkten sich die neuen konkurrierenden Welterklärer in ihrer Feststellung „Gott existiert nicht“ und flüchteten vom dogmatischen Glauben ins andere Extrem, dem aggressiv-dogmatischen Atheismus. Diese Welterklärer stellen für viele Menschen, die dem Atheismus zugeneigt sind einen Art Göttercharakter dar, denn sie liefern Antworten auf Fragen, bei denen das „Wort Gottes“ schweigt.

Die Folge: Ein Großteil unserer säkularen Gesellschaft meint, zu gut informiert zu sein, um sich zu klaren Weltanschauungen zu bekennen. Er ist zu liberal, um Wertehierarchien zu formulieren und zu konsumorientiert, um Bescheidenheit zu predigen. Umso mehr tut sich unsere Gesellschaft mit denen schwer, die einem Gott anhängen wollen. Dies trat schon in der Beschneidungsdebatte, dem Pussy-Riot-Skandal oder der Schmähfilm-Diskussion zu Tage. Im Hintergrund stand immer die Frage: Wie viel Freiraum lassen wir den Religiösen in unserer Gesellschaft?

Religion unter Säkularen

Oft herrscht der Trugschluss, dass die Trennung von Staat und Religion, den Staat als solches zu einem religionsfreien gemacht hätte. Weder sollte die Gesellschaft in einem säkularen Staat aufhören zu glauben, noch sollte der sich der Staat von religiösen Botschaften und deren Morallehren unberührt zeigen. Der Staat gewährt uns das Recht auf Religionsfreiheit, wonach jeder Mensch glauben darf, wie es seiner Überzeugung entspricht.

Nehmen wir an: Ich laufe durstig in der Wüste umher. Aus der Ferne sehe ich eine Oase, die eine Wahnvorstellung sein könnte. Auch wenn ich dort nicht auf eine Oase stoße, suche ich weiter, da mein Durst beweist, dass es Wasser geben muss!

Das ist unsere Vernunft. Sie fordert uns auf, über das nachzudenken, was uns umgibt. Wir wurden mit einem Verstand ausgestattet, mit dem wir in der Lage sind die überlieferten Weisheiten unserer Vorfahren zu studieren. Ein blinder Glaube ist genauso verwerflich, wie ein blinder Atheismus. Die öffentliche Religionskritik ist genauso wichtig, wie öffentliche Atheimuskritik. Der Weg führt nur über Selbstkritik und einem unvoreingenommenem Streben nach Gewissheit, für beide Seiten.

Religion ist eine Ausdrucksform

Vergegenwärtigt man sich Israel-Palästina-Konflikt, sieht man scheinbar Muslime gegen Juden kämpfen, in Syrien: Schiiten gegen Sunniten oder in Nigeria: Christen gegen Muslime. Tatsächlich ist Religion schon seit langer Zeit keine Kriegsursache mehr, sondern eine Ausdrucksform, die einem Krieg im Laufe des Konflikts verliehen wird. Ohne einen Blick auf die Kausalität kann ein Konflikt nicht korrekt eingeordnet werden. Bei Konflikten unserer Zeit, die als religiösmotiviert charakterisiert werden, bildet sich erst im Verlauf der Entwicklungen ein entsprechendes Bewusstsein oder eine Verhärtung einer bestimmten Identität heraus. Dadurch wird der Konflikt in seiner Komplexität reduziert und übersichtlicher gemacht. Zudem wird durch die Festigung der Gruppenzugehörigkeit und der strikten Rollenverteilung in Gut und Böse, der Konflikt zu einem ständigen Konflikt, der unverhandelbar ist.

Konflikte und Religion

Nehmen wir einmal das ehemalige Jugoslawien als Beispiel. Dort gab es Serben, Kroaten, Slowenen und Bosnier. Jede Volksgruppe hätte sich auf seine eigenen Besonderheiten berufen können. Doch die Serben setzten auf eine panslawische Identität, womit sie die Karte der sprachlichen Verwandtheit ausspielten. Den Bosniern blieb keine andere Wahl, als auf ihre religiöse Zugehörigkeit zu setzen, womit sie automatisch Muslime weltweit ansprachen. Tatsache ist, dass bosnische Muslime wenige bis überhaupt nicht praktizierende Gläubige sind. Trotzdem gesellten sich in ihrem Kampf gegen die panslawische Gruppe Kämpfer aus aller Welt hinzu, die sich als Muslime bezeichneten. Jeder von ihnen kam als muslimischer “Bruder” mit einer persönlichen Agenda. Ganz oben stand bei ihnen der Kampf gegen den “Westen”. Zugleich war es ihnen ganz egal, ob sie im Nahen Osten, Afghanistan oder in Bosnien kämpften. Dem Kampf, den sich die “Gotteskrieger” hingaben, wurde allein um des Krieges Willen ausgetragen. Hierbei gehörte die kontinuierliche Ignoranz gegenüber islamischer Ethik und Moral zur allgemeinen Praxis der Freiheitskämpfer.

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