Foto: Julia Kneuse

Nichts für Sissys!

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr  05 war für die SPD eine deutliche Niederlage. Am Wahlabend sitzt Frank Stauss im Apollo Theater in Düsseldorf. Die Kameras fangen ihn ein, und in den Beiträgen der Journalisten wird er zum enttäuschten SPD-Wahlkämpfer. „Ausgerechnet ich, der immer auf die leeren Gesichter an Wahlabenden geschimpft hat. Wenn man verliert, zeigt man es nicht“, so Stauss.

Über das, was dann passierte, als Bundeskanzler Gerhard Schröder am 22. Mai 2005 vorgezogene Neuwahlen ankündigt, berichtet Stauss in seinem Buch «Höllenritt Wahlkampf» (DTV-Verlag). Denn auf einmal war Stauss, Geschäftsführender Gesell-schafter der Werbeagentur Butter, mittendrin in einem Bundestagswahlkampf, den es kurz davor noch gar nicht gegeben hatte. An Erfahrung mangelt es dem Werber, der schon für Olaf Scholz, Hannelore Kraft oder Klaus Wowereit arbeitete, sicher nicht. Aber die Situation war besonders. Und nach der NRW-Wahl in die nächste Schlacht ohne Chance zu ziehen, schien ihm damals nicht sonderlich attraktiv. Nach 24 Stunden Bedenkzeit sagte Stauss dennoch zu. „Nichts ist spannender als eine Wahl, denn nichts ist endgültiger”, sagt er. Die Schwierigkeit sei, schon Wochen im Voraus den richtigen Ton zu treffen. Dafür müsse man vorausplanen. Denn der zeitliche Vorlauf bei Plakaten, in Deutschland immer noch das Aushängeschild jeder Kampagne, liegt bei mehreren Wochen.

Frank Stauss mietet Räume in Berlin in der Nähe des Willy-Brandt-Hauses, der Bundeszentrale der SPD. Los geht es mit der Marktforschung. „Sie soll uns zunächst einmal so viele Informationen wie möglich liefern.“ Stauss und sein Team müssen herausfinden, ob die Deutschen bei Gerhard Schröder noch Stärken sehen. Und kann die SPD trotz Agenda-2010-Politik mit ihrem Thema soziale Gerechtigkeit noch punkten? Aus den Ergebnissen entsteht eine Strategie. Es läuft auf eine Konfrontation raus. „Wenn du nicht zu deinem Gegner aufschließen kannst, dann zieh’ ihn wenigstens zu dir runter. Zweifel säen, warnen, madig machen, verunsichern – mehr ist erst mal nicht drin.“

Farbenspiele

„Die Farbe nennt sich Umbra“, erklärte der Kreativdirektor Romeo Bay seinem Chef. Umbra, das ist ein helles Braun, bislang von keiner Partei besetzt. Die SPD will sich von ihrem alten Blau verabschieden, auch um visuell deutlich zu machen, dass es nicht nur ein weiterer Schröder-Wahlkampf ist. Umbra passt zum SPD-Rot, ist kameratauglich. „Es lässt die Menschen vor ihm gut aussehen. Vor Gelb und Grün sieht man zwangsläufig ein bisschen krank und fahl aus. Deshalb sehen FDP- und Grünen-Politiker auch meist aus, als hätten sie etwas Schlechtes gegessen.“ Umbra ist für die Kampagne gekauft.

Kajo Wasserhövel, der direkte Ansprechpartner für die Kampagne im Willy-Brandt-Hauses, richtet dort die sogenannte Kampa ein. Hier sitzen die verschiedenen Teams, die Hallen buchen, Druckkapazitäten einkaufen und Termine koordinieren.

Am 22. Juni soll zum ersten Mal die Kampagne präsentiert werden, die den Parteivorsitzenden und den Kandidaten überzeugen soll. Die 78 Powerpoint-Folien stehen unter dem Titel „Neues Vertrauen“. Nachdem auch die Ergebnisse der Marktforschung vorliegen, geben Kanzleramt und Parteichef Franz Müntefering grünes Licht für die Kampagne. Das Erscheinungsbild der Partei wird auf Umbra getrimmt.

Nur nicht winken!

Um den TV-Spot mit dem Bundeskanzler zu drehen, sind 45 Minuten Zeit eingeplant. Am 25. Juli landet der Helikopter mit dem Kanzler auf dem Landeplatz beim Kanzleramt an der Spree. Das Team wartet, man will keine Zeit verlieren. Die Idee ist, den Kanzler in Bewegung zu zeigen, wie er eine Strecke auf einer Fußgängerbrücke entlang schreitet. Die Ausflugsschiffe auf der Spree haben angehalten. „Hallo, Herr Bundeskanzleeeer!“ ist zu hören. Nicht winken, denken Frank Stauss und sein Team. Denn der Kanzler wird diesen Gang nur einmal machen. Er geht weiter. Gut so. Aber dann hält er es nicht mehr aus, er geht ans Geländer und winkt. Kameras knipsen, er wird bejubelt, aber der Spot ist im Eimer. Dem Kanzler sagt keiner, dass er den Spot vermasselt hat. Im Kanzleramt wird weiter gedreht, dieses Mal ohne Zuschauer.

Was folgt, sind Großveranstaltungen, Sonderparteitage und ein TV-Duell. „So ein Duell ist für den Amtsinhaber immer das größere Risiko“, so Stauss. Als an diesem Abend die Zahlen der Umfrageinstitute kommen, herrscht Jubel im WBH. Schröder liegt vorn.

Am 18. September 2005 ist der Wahltag, der Höllentag, wie Stauss ihn nennt. Es ist das Warten auf die ersten Zahlen. Die CDU unter 40 Prozent? Es herrscht aufgekratzte Stimmung in der Parteizentrale. Die SPD erlebt ihre Wiederauferstehung. Die Kampagnen-mitarbeiter sind erleichtert. „Auf jedem von uns lastete ein wenig das Schicksal der großen, geschichtsträchtigen SPD“, beschreibt Stauss.

Im November 2005 bekommt Frank Stauss einen Anruf von Kajo Wasserhövel. Er braucht einen Titel für den Koalitionsvertrag. Aus seinem Sloganfundus schickt Stauss „Mut und Menschlichkeit.” Der Kanzlerin gefällt es.

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