Illustration: Jamie Niederer

Ein bisschen Feuer – Mein Traumduell zur Europawahl

8. Mai, 20.15 Uhr. Endlich ist es da, das Großereignis, auf das die Europäer seit Wochen hinfiebern. Menschen aus 28 EU-Staaten hocken gebannt vor dem Fernseher. In vielen Städten wird das TV-Duell zwischen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Jean-Claude Juncker auf Großleinwänden übertragen.

Keine der großen Sender in der EU hat es sich nehmen lassen, dieses Spektakel zur besten Sendezeit ins Programm zu nehmen. Denn es verspricht einen Marktanteil, von dem ein Eurovision Song Contest (ESC) mit vergleichbarer Reichweite nur träumen kann. Und auch für die sozialen Medien ist eine goldene Stunde gekommen – wer mag, kann sich vom Sofa aus beteiligen, auf Facebook diskutieren und via Twitter Fragen direkt ins Studio stellen. Diese Vorstellung ist leider wenig realistisch. Das Duell wird schon deshalb kein europäisches Großereignis, weil es rein deutsch angelegt ist. Veranstaltet nur mit den Deutsch sprechenden Spitzenkandidaten der zwei großen Volksparteien – dem Sozialdemokraten Schulz und dem Konservativen Juncker. Organisiert und übertragen wird es von und auf ZDF und ORF, gelenkt von der österreichischen Moderatorin Ingrid Thurnher und ZDF-Chefredakteur Peter Frey.

Eine Menge Duelle

ESC-Feeling wird wohl wenn nur am 15. Mai aufkommen, wenn alle Spitzenkandidaten gegeneinander antreten. Das Duell wird tatsächlich vom ESC-Produktionssender ausgerichtet und in vielen EU-Ländern übertragen. Wer hierzulande in den Genuss kommen will, muss allerdings Phoenix einschalten, den weitgehend unbeachteten Sender mit gerade einem Prozent Marktanteil. Alle anderen Sender machen ihre eigenen Debatten dann und wann. Kompliziert? Nein. EU.

Wie spannend das Duell ist! Juncker und Schulz sitzen sich direkt gegenüber. Leidenschaftlich wirbt der Sozialdemokrat dafür, in der Krise endlich umzudenken und zu investieren, statt ständig aufs Sparen zu pochen. „Wenn wir so weiter machen wie bisher, ist unsere gemeinsame Wirtschaft und damit das ganze Projekt Europa in größter Gefahr!“ Schulz ist aufgesprungen, das Studiopublikum applaudiert frenetisch.Gegenkandidat Juncker bleibt gelassen, grinst leicht süffisant. „In Gefahr? Der Euro? Was soll das bedeuten? Das habe ich noch nie verstanden – “ Juncker will ausholen, doch der Zeitplan zwingt Moderatorin Thurnher, einzuschreiten und das nächste Thema anzuschneiden. Nun zeigt auch Juncker Emotionen: „Moment! Das ist hier eine Debatte, oder? Dann möchte ich auch meine Gedanken ausführen!“ Er ist nicht zu stoppen. Die Menschen vor den Großleinwänden jubeln.

Starre Zeitlimits und vorgefertigte Moderatorenfragen einmal zugunsten von Spontaneität sausen lassen, deutliche Gestik, Mimik, Kontroversen, Inhalte – das wünsche ich mir für das TV-Duell. Es soll ein bisschen so sein wie in den USA, wo es schon seit knapp 55 Jahren mehr oder weniger emotionale Fernsehduelle gibt. Meine Hoffnungen sind nicht völlig unberechtigt. Gestik, Mimik, Rhetorik – das liegt Martin Schulz. Er kann scherzen und laut lachen, eindringlich überzeugen, die Augen verdrehen, laut werden. Unvergessen etwa, wie er Berlusconi im Parlament zur Weißglut brachte. Kürzlich brachte er mit seiner Rede in der israelischen Knesset Abgeordnete dazu, empört den Saal zu verlassen.

Auch mal Streit

Das Spiel mit Mienen und Tonfällen mag nicht Junckers Stil sein – beim Euronews-Duell im April zeichneten ihn eher ein unbewegter Gesichtsausdruck, eine gleichbleibende Stimmlage und abwägende Antworten aus. Und doch hat er klare Überzeugungen, etwa wenn es um den Euro geht, der ihm durch seine jahrelange Tätigkeit als Eurogruppen-Chef zur Herzensangelegenheit geworden ist.

Ich wünsche mir also zwei Kandidaten, die sich auch streiten. Divergierende Standpunkte von Sozialen und Konservativen gibt es ja – beispielsweise beim EU-weiten Mindestlohn und bei der Zukunft der EU bezüglich Vergemeinschaftung und nationaler Souveränität. Was ist mit der Sanktionierung Russlands in der Ukrainekrise? Wie soll sich die EU zur USA positionieren?

Am Ende ganz andere Präsidenten?

Die Wirklichkeit holt mich ein, wenn ich an die Offenheit des konservativen Juncker für Eurobonds und Mindestlöhne denke. An die ähnlichen Vorstellungen der Kandidaten über die gemeinsame europäische Politik. An die Kritik, der Sozialdemokrat Schulz distanziere sich zu wenig von dem geplanten Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten.

Streit, Spannung, Unterhaltung, das habe ich bereits durchgespielt, als in das TV-Duell meiner Träume plötzlich – Action! – zwei Personen stürmen. Es sind der Liberale Guy Verhofstadt und die Grüne Ska Keller. Von ARD und ZDF verschmäht, wollen sich die Kommissionspräsidentschaftskandidaten der kleinen Parteien nicht aufs Phoenix-Abstellgleis befördern lassen, sondern auch vor einer größeren deutschen Öffentlichkeit mitdiskutieren. Sprachprobleme gibt es mit der deutschen Keller und dem deutschlernenden Verhofstadt nicht. Der griechische Kandidat der europäischen Linken, Alexis Tsipras, kommt sowieso nicht, wie auch jüngst beim Euronews-Duell.

„Erstmals, meine Damen und Herren, können Sie den Kommissionspräsidenten mitbestimmen. Deshalb wählen Sie am 25. Mai“, ruft Moderator Frey zum Ende der Debatte, die Wangen vor Aufregung gerötet.

Ich aber habe nicht nur einen Traum vom TV-Duell, sondern auch einen Alptraum von den Ereignissen nach der Wahl. Wenn nämlich die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat einen völlig anderen Kandidaten für das Amt des EU-Kommisionspräsidenten vorschlagen, als die Europawahl vorgibt. Nach Art. 17 Abs. 7 des EU-Vertrags „berücksichtigt“ der Europäische Rat bei seinem Vorschlag das Ergebnis der Europawahlen. Was das genau bedeutet, ist nicht klar.Nach der Mehrheit im Parlament und damit dem Wählervotum muss sich der Rat zwar richten. Aber an die Kandidaten selbst ist er nicht gebunden.

Mein Traum eines TV-Duells ist an vielen Stellen brüchig. Vielleicht sollte ich doch wieder Phrasen-Bingo spielen. Aber diesmal mit Fanschal, Europa-Limo und viel Elan zum Mitdiskutieren. Ich mache mir mein eigenes Highlight aus der Debatte, egal was kommt. Denn das hat die EU verdient.

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