Marcus Tullius Cicero: de re publica, die Demokratie

und so ist eben jeder Staat, wie entweder der Charakter oder der Wille desjenigen, der ihn regiert. Darum hat (im Grunde) die Freiheit in keinem anderen Staat ihre (eigentliche) Heimat, als wo das Volk der Souverän ist. Sie ist für den Menschen jedenfalls der süßeste Genuss; aber sie verdient diesen Namen nicht, wenn sie nicht mit Gleichheit (der Rechte) verbunden ist. Wie kann aber Gleichheit stattfinden, ich will nicht sagen, in einer Monarchie, wo die Sklaverei nicht einmal verschleiert oder zweifelhaft ist, sondern in solchen Staaten, in denen (zwar) den Worten nach alle frei sind; denn sie stimmen ab, übertragen Befehlshaberstellen und Ämter; man bewirbt sich bei ihnen und befragt sie um ihrer Ansicht; allein sie geben eigentlich nur, was sie geben müssen, auch wenn sie nicht wollen, und sind im Grunde nicht einmal im Besitz dessen, um was sie gebeten werden: denn sie sind ausgeschlossen von Befehlshabernstellen, von Sitz und Stimme im Senat, von Gerichtsstellen, wozu Richter gewählt werden; denn dazu gelangen nur solche, die durch das Alter ihrer Familien oder durch Geld ein Übergewicht haben. In einem freien Volk aber, wie in Rhodos, wie zu Athen, ist kein Bürger, der … (Lücke von zwei Seiten)…

wenn in einem Volk einer oder mehrere Reichere und Begütertere aufstanden, dann entwickelte sich aus ihrem Stolz gegen Geringere übermütige Anmaßung, indem die Feigen und Schwachen nachgaben und vor dem Hochmut der Reichen krochen. Verstehen aber die Völker, ihre Rechte zu behaupten, da erklären Sie sich in ihrem Selbstgefühl für die edelsten, freiesten und beglücktesten, da ja von ihrem Willen Gesetze, Gerichte, Krieg, Frieden, Bündnisse, Leben und Gut eines jeden abhängen. Dann allein erklären sie, verdiene ein Staat den Namen eines Gemeinwesens (res publica), das heißt einer Volkssache (res populi). Daher sagt man, ein Volk erkämpfte sich die Freiheit, wenn er sich von Königsherrschaft und Aristokratengewalt losmache; nie aber trachten freie Völker danach, Könige zu bekommen oder mächtige und einflussreiche aristokratische Häupter.

Zudem erklären sie, wenn auch ein zügelloses Volk Missgriffe tue, so müsse man darum nicht die freie Verfassung der Völker an sich verwerflich finden: nichts sei unerschütterlicher sicher, nichts fester, als ein Volk, das zusammenhalte, und dessen einziges Interesse seine Unversehrtheit und seine Freiheit sei; Eintracht aber erhalte sich am leichtesten in demjenigen Staat, in dem allen dasselbe Vorteile bringe, während ein geteiltes Interesse, wo dies diesem, jenes jenem fromme, die Quelle der Zwietracht sei. Darum habe auch, wann immer die Patrizier (oder der Senat) die ganze Macht in Händen gehabt hätten, der Staat nie auf festen Füßen gestanden. Noch weit weniger sei dies aber in Monarchieen der Fall, „wo ein Herrscher mit Königsgewalt keinen Nebenbuhler duldet, kein Teilnehmer an der Oberherrschaft vor dem anderen sicher ist“, wie Ennius sagt. Darum, weil das Gesetz das Band ist, das die bürgerliche Gesellschaft zusammenhält, das Recht aber, das jeder durch das Gesetz hat, allen gleich gilt, wie kann die bürgerliche Gesellschaft durch das Recht zusammengehalten werden, wenn die Bürger nicht alle gleiche Befugnis haben? Denn man kann auch keine Vermögensgleichheit einführen wollen, mögen die Talente unmöglich bei allen gleich sein können, so müssen doch wenigstens die gegenseitigen Rechte demjenigen gleich sein, die Bürger in einem und demselben Staat sind. Denn was ist ein Staat, als ein Verein (zum Genuss) gleiche Rechte?

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