Marcus Tullius Cicero: de re publica, der Kreislauf der Verfassungen

Bei dieser königlichen aber ist die angegebene Veränderung die erste und die am gewissesten eintreffende. Sobald der König ungerecht zu sein beginnt, so ist es auf der Stelle mit dieser Verfassung aus, und er wird zum Tyrannen; und dies ist die heilloseste Form, die doch so nahe an die beste grenzt.

Haben die Optimaten diesen unterdrückt, und das geschieht in der Regel, so bekommt der Staat die zweite Verfassung von den genannten dreien; denn sie streift noch an die königliche hin, das heißt, es ist da eine väterliche Beratung des Volkes durch wohl und verständig sorgende Volksvorsteher.

Hat das Volk aber selbst den Tyrannen erschlagen oder verjagt, so benimmt es sich gemäßigter, soweit sein (richtiges) Gefühl und seine Einsicht reicht, freut sich über das Gelingen seiner Tat und strebt, die Verfassung, die es gegründet hat, zu behaupten.

Hat aber einmal das Volk einem gerechten König Gewalt angetan und ihn vom Thron gestoßen, oder hat es etwa, was sich öfter ereignet, Blut von Optimaten gekostet und den ganzen Staat seiner wilden Begierde unterworfen, dann glaube nur, dass kein (empörtes) Meer und keine Flamme so gewaltig ist, die man nicht leichter dämpfen könnte, als die zügellose und übermütige Menge.

43. Dann tritt das ein, was bei Platon so treffend gesagt ist, wenn ich es nur in unserer Sprache wiedergeben kann; denn das hat seine Schwierigkeit; doch ich will es versuchen: „Wenn einmal“, sagt er, „der unersättliche Schlund des Volkes nach Freiheit dürstet und lechzt, und haben ihm dann böswillige Schenken eine nicht durch gehörige Mischung gemäßigte, sondern allzu unvermischte Freiheit zur Stillung seines Durstes zu trinken gegeben, dann verfolgt es die Beamten und Vornehmen, wenn sie nicht äußerst gelind und gemäßigt sind und ihm die Freiheit nicht in vollen Zügen einzuschlürfen geben; es macht ihnen Beschuldigungen und Vorwürfe, heißt sie Aristokraten, Könige, Tyrannen.“ Ich glaube nämlich, du kennst die Stelle.

Laelius: Allerdings, ich kenne sie ganz gut. Scipio: Nun heißt es weiter: „Wer noch den Vornehmen gehorcht, den verfolgt in einer solchen Stimmung das Volk, und nennt solche freiwillige Sklaven. Diejenigen dagegen, die als Beamte sich ganz den Privatleuten gleichstellen, und diejenigen Privatleute, die es zu machen wissen, dass zwischen einem Privatmann und einem Beamten aller Unterschied verschwindet, die preist es hoch und überhäuft sie mit Ehren, so dass notwendig in einem solchen Staat die Freiheit sich überallhin in Fülle verbreitet; dass auch in keinem Privathaus mehr ein Gebiete ist und sich die Freiheitsseuche selbst bis auf die Tiere herab verbreitet; dass am Ende gar der Vater den Sohn fürchtet, der Sohn sich nichts aus dem Vater macht; dass der Lehrer die Schüler fürchtet und ihnen schmeichelte, die Schüler dagegen ihre Lehrer verachten; dass die Jünglinge sich so viel herausnehmen wie die Alten, die Alten aber sich zu den Spielen der Jünglinge herablassen, um ihnen nicht verhasst und lästig zu sein, wovon dann die Folge ist, dass auch die Sklaven sich freier benehmen, die Frauen mit den Männern gleiche Rechte bekommen und dass bei so allgemeiner Freiheit auch die Hunde und Pferde, am Ende gar die Esel frei sind und so anrennen, dass man ihnen aus dem Weg gehen muss.

Die Folge dieser schrankenlosen Frechheit, sagt er, ist dann zuletzt die, dass die Gemüter der Bürger so empfindlich und reizbar werden, dass sie, sobald nur mit den geringsten Ernst auf Befolgung eines Gebotes gedrungen wird, aufbrausen und es nicht ertragen können, worauf sie denn auch anfangen, die Gesetze nicht mehr zu achten, um ganz und gar keinen Herrn mehr über sich zu haben.“

Da hast du, sprach Laelius, Platons Sinn vollkommen getroffen.

Scipio: So will ich denn zum Gewährsmann meiner Rede zurückkehren: Aus jener übertriebenen Frechheit, sagt er, die allein jene für Freiheit halten, erwächst und sprosst, gleichsam wie aus seinem Stamm, der Tyrannen hervor. Denn so wie aus der übertriebenen Macht der Vornehmen auch der Untergang der Vornehmen entspringt, so stürzt die Freiheit selbst dieses allzu freie Volk in Sklaverei.

Und so schlägt alles zu hoch Getriebene, wenn es in der Witterung oder in der Vegetation oder in den Körpern zu üppig sich auftrieb, gewöhnlich in sein Gegenteil um, und vorzüglich trifft dies im Leben der Staaten zu, so dass jene allzu große Freiheit die Völker wie die einzelnen in eine nur allzu tiefe Knechtschaft stürzt.

Es geht demnach aus jenem Freiheitsrausch der Tyrann hervor und in seinem Gefolge die ungerechteste und härteste Dienstbarkeit. Denn aus diesen unbändigen oder vielmehr tierisch wilden Volk wird gewöhnlich einer gegen jene schon geschwächten und ihres hohen Ranges beraubten Vornehmen zum Anführer gewählt, ein verwegenen und niedrigen Leidenschaften frönender Mensch, der mit Frechheit oft um den Staat wohlverdiente Männer verfolgt, Eigenes und Fremdes dem Volk als Geschenk preisgibt; und weil er als Privatmann sich (vor gerechter Vergeltung) fürchten müsste, gibt man ihm Oberbefehlshaberstellen, verlängert sie nach ihrer Umlaufzeit, ja gestattet ihm gar, wie zu Athen dem Peisistratos, eine Leibwache. So wird denn ein solcher der Tyrann des selben Volkes, das ihn aus dem Staub emporgehoben hat.

Gelingt es den wahren Vaterlandsfreunden, was oft geschieht, ihn wieder zu überwältigen, dann erholt sich der Staat zu neuem Leben; stürzten ihn freche Abenteurer, dann bilden diese zusammen eine Clique (und man hat) nur eine andere Art von Tyrannen. Eine ganz gleiche entsteht auch oft aus jener an sich trefflichen Stadtverwaltung durch Optimaten, wenn die Staatsoberhäupter selbst durch eine sittliche Verschlechterung von der (rechten) Bahn abkommen.

So fangen den Staat und die Verfassung die Tyrannen wie einen Spielball aus der Hand der Könige auf; von jenen wieder entweder die Aristokraten oder die Demokraten und von diesen dann entweder Cliquen oder (wiederum) Tyrannen, und nie erhält sich die selbe Form der Staatsverfassung in die Länge gleich.

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