Personaleingang der Stadt Tübingen. Foto: Landwehr.
Personaleingang der Stadt Tübingen. Foto: Landwehr.

Resignation im Rathaus

Arbeitsbelastung wächst – Bürgermeister mit Verständnis, aber wenig Spielraum

Personaleingang der Stadt Tübingen. Foto: Landwehr.
Personaleingang der Stadt Tübingen. Foto: Landwehr.

Die Mitarbeiter der Stadt könnten in der Tat etwas mehr brauchen, um glücklich zu sein. Und zwar etwas mehr auf der Gehaltsabrechnung.  „Der Wunsch nach mehr ist vorhanden“, sagt der stellvertretende Personalratsvorsitzende, Klaus Gutjahr. Denn für die Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst der schwäbischen Universitätsstadt hat sich die Arbeitssituation in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. Die Arbeit, so berichten die Angestellten, habe sich immer weiter verdichtet. Was nichts anderes heißt als: Weniger Leute erledigen die gleiche Menge Arbeit. Um Kosten zu senken gibt es in Tübingen eine Widerbesetzungssperre für freigewordene Stellen von einem halben Jahr. Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre werden jetzt erst sichtbar. „Viele wissen nicht mehr, wie sie die Arbeit bewältigen sollen“, beobachtet Gutjahr. Es gibt Probleme Krankheitsvertretungen zu finden und es bleibt mehr Arbeit liegen. Die Folge: Resignation macht sich unter den Mitarbeitern breit. Ein sensibles Thema, darüber zu sprechen fällt vielen schwer.

Denn häufig erleben Mitarbeiter in den Kommunen, das auch ihr vermeintlich so sicherer Arbeitsplatz keineswegs so sicher ist, wie sie vielleicht dachten.

„Wir haben in der Vergangenheit mehrfach zugunsten neuer Arbeitsplätze auf Lohnerhöhungen verzichtet. Aber wo sind diese neuen Arbeitsplätze?“, hat ein Kollege an den Personalrat geschrieben. Gekommen sind die neuen Arbeitsplätze bislang nicht.

„In Zeiten der anziehenden Konjunktur ist kein Geld da, in Zeiten sprudelnder Einnahmen muss man sparen, und in der Krise ist auch kein Geld da.“ Diese Haltung kennt Dagmar Schorsch-Brandt, stellvertretende Landesbezirksleiterin von verdi in Baden-Württemberg, von den Kommunen. „Kein Geld“, so lautet das Totschlagargument in der Diskussion über Lohnerhöhungen.

Der Herr über die Finanzen im Tübinger Rathaus ist der Erste Bürgermeister Michael Lucke. Für die Kommunen sei es die größte Krise nach dem zweiten Weltkrieg, sagt er. Und äußert zugleich Verständnis für die Forderungen der Angestellten, besonders mit Blick auf die Bescheidenheit in den vergangenen Verhandlungsrunden: „Fünf Prozent wären angemessen.“ Doch diese Forderung wird Tübingen nicht erfüllen können. 49,4 Millionen gibt die Stadt jedes Jahr für Personalkosten aus, das sind 28 Prozent des Verwaltungshaushalts. Eine Erhöhung von 1,2 Prozent hat Lucke in die Haushaltsplanungen eingerechnet. „Alles was darüber kommt, macht Probleme“, räumt er ein.

In ganz Deutschland sind viele Kommunen finanziell an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Dieses Jahr erwarten die Kommunen in Deutschland ein Rekorddefizit von zwölf Milliarden Euro. Das wäre der „schlimmste Einbruch der Nachkriegsgeschichte“, sagt Petra Roth, die Präsidentin des Deutschen Städtetags.

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise kommen auch bei den Kommunen an. Weil die Unternehmen weniger Einnehmen kommt auch bei den Kommunen weniger an. Auf zehn Prozent geringere Steuereinnahmen kommen die Kommunen. In Zahlen ist das ein Minus von 7,1 Milliarden Euro. Die Gewerbesteuereinnahmen sanken 2009 um 17,4 Prozent, in einigen Städten sogar um bis zu 40 Prozent. Bei dieser veränderten Einnahmesituation sind auch die Spielräume für höhere Ausgaben gering.

Auch die schmucke Fachwerkfassade des Rathauses kann darüber nicht hinwegtäuschen: Tübingen sei eine arme Stadt, so Michael Lucke. Die größten Arbeitgeber sind Universität und Klinik, die Grundsteuer mit 560 Prozentpunkten liegt bereits an der Spitze in Baden-Württemberg. Wo soll man sparen, welche Gebühren und Steuern erhöhen? „Jeder Prozentpunkt bedeutet, das wir uns über Kürzungen unterhalten müssen“, macht der Erste Bürgermeister deutlich. Und so kommt man auch schnell zur Personalfrage. Wie viel Personal setzte ich ein? Wie lange müssen Bürger in der Schlange warten?

Schwarzer Linoleumboden, Mitarbeiter schieben in einem umgebauten Einkaufswagen Akten durch den Flur. Wer hier Arbeitet, der hat einen sicheren Arbeitsplatz. So denken viele. Doch die Unsicherheit bei den Beschäftigten in den Rathäusern wächst. „Wir haben betriebsbedingte Kündigungen im Öffentlichen Dienst“, sagt die Gewerkschafterin Dagmar Schorsch-Brandt. So werden etwa in Pforzheim aufgrund der schwierigen Finanzlage betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Und 12 Prozent der kommunalen Beschäftigten verfügt lediglich über befristete Verträge, die irgendwann auslaufen. Mitarbeiter erleben, wie Kollegen gekündigt wird, etwa aus krankheitsbedingten Gründen. Früher konnte man noch einfacher Leute mitziehen, das kann sich eine Kommune mittlerweile nicht mehr leisten.

Michael Lucke ist kein kühler Zahlenmensch und hat die menschliche Seite stets im Blick. So räumt er ein, sehr gespalten zu sein. „Fünf Prozent sind überzogen, aber mit der Hälfte könnte ich leben.“ Und Schorsch-Brandt sagt:  „Wir könnten uns 2,5 Prozent für allgemeine Lohnerhöhung vorstellen, plus ein Prozent für Altersteilzeit und Übernahmen vorstellen.“

Auf die Schlichter kommen jetzt harte Verhandlungsrunden zu. Bis Ende Februar soll das Ergebnis der Schlichtungskommission vorliegen, am 27. Februar werden dann die Tarifverhandlungen fortgesetzt.

Parallel zu den Verhandlungen im Öffentlichen Dienst verhandelt auch die Gewerkschaft IG-Metall mit den Arbeitgebern. Hier geht es um die Löhne der bundesweit rund 3,4 Millionen Beschäftigten in der Metall und Elektroindustrie. Die IG-Metall ging erstmals in ihrer Geschichte ohne bezifferte Lohnforderung in die Tarifrunde, die Sicherung der Arbeitsplätze stand im Vordergrund der Verhandlungen.

Für Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sind Warnstreiks und Forderungen im Gesamtvolumen von zuletzt noch 3,5 Prozent realitätsfremd. Ihm fehle jedes Verständnis für den aggressiven Arbeitskampf im öffentlichen Dienst. Viele Angestellte im Öffentlich Dienst empfinde den Vergleich mit den Forderungen der IG-Metall als Ungerecht und verweisen auf die hohen Abschlüsse der Metaller in den vergangenen Jahren.

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