Ist die Schweiz nur ein isoliertes Überbleibsel in Europa, oder ein durch viele Verträge und Abkommen gut in die EU integriertes Land, bei dem ein Beitritt zur EU nur noch eine Frage der Zeit ist? Die Schweiz ist ein interessanter Sonderfall. Sie ist eine Art De-facto-Mitglied, ohne wirklich dazuzugehören. Die EU hat zur Kenntnis genommen, dass der EU-Beitritt für die Schweiz kein strategisches Ziel mehr ist“, so Botschafter Michael Reiter, der Leiter der EU-Vertretung in Bern. Die Schweiz als Sonderfall: Kein anderes Land verfügt über ein so enges Geflecht bilateraler Abkommen mit der Europäischen Union, eine Mitgliedschaft ist jedoch nicht in Sicht.
Auch in den Medien geistern der EU-Beitritt durch die verschiedenen Blätter. Denn es sind überwiegend die klassischen Printmedien, die sich mit dem Thema beschäftigen. Und das in diesem Jahr noch stärker als im Jahr 2009. Angeheizt durch die Griechenlandkrise rückte das Thema weiter in den Blickpunkt, und die Tendenz ist weiter steigend. Geht es um die Schweiz, dann sind es Schlagworte wie „Personenfreizügigkeit“ und „Abkommen“ die häufig auftauchen.
Das liegt nahe, denn die EU ist der wichtigste Wirtschaftspartner für die Schweiz. Laut Zahlten der EU-Kommission kommen rund 80 Prozent der schweizerischen Einfuhren aus der EU, etwa 60 Prozent der Schweizer Exporte gehen dorthin. „Als Handelspartner ist die Schweiz für uns wichtiger als China“, betonte daher auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Jahr 2008.
Auch die EU-Kommission ist in den letzten wie Monaten stärker medial präsent. Dabei geht es um Themen wie den Rettungsschirm, aber um Kartellverstöße und Agrarthemen.
„Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, sie versucht aber unter strenger Kosten-Nutzen-Abwägung an den ökonomischen und nichtökonomischen Vorteilen der europäischen Zusammenarbeit zu partizipieren“, schreibt der Politikwissenschaftler Burkard Steppacher. Diese Haltung wird von der EU-Kommission durchaus kritisch betrachtet. Während bis vor einigen Jahren auf der Internetseite der Kommission über die Beziehungen zur Schweiz sehr wohlwollend von „a special case“ und „both long-lasting and intensive cooperation“ sowie „a large number of different agreements“ zu lesen war, wurde der Ton 2009 („The EU’s closest neighbour, not only geographically“) deutlich abgekühlter. Heute findet sich kein Hinweis dieser Art mehr auf der Internetseite.
„Für die Handelnden in der EU und ihre Mitgliedstaaten ist die Schweiz, im Vergleich zu anderen Drittstaaten, letztlich ein zu vernachlässigendes, kleines Nebenthemen, das nur gelegentlich interessant ist, wenn es gilt konkrete Einzelfragen zu lösen“, so das Fazit des Politikwissenschaftler Steppacher. Diese Situation spiegelt sich auch in den Medien wieder. Die EU ist dann ein Thema, wenn durch bestimmte Themen die Schweizer Politik betroffen ist, in diesem Zusammenhang taucht dann auch das Thema EU-Beitritt auf. Und in deutschen Medien ist ein EU-Beitritt der Schweiz praktisch kein Thema.
Im Rahmen von Kompensationsgeschäften wird der Schweiz dann zwar mangels EU-interner Uneinigkeit manchmal ein überraschendes Zugeständnis gemacht, gleichberechtigte Mitsprache- und Mitentscheidungsmölichkeit kann letztlich jedoch nur EU-Mitgliedern zugestanden werden.
Mit der Fortsetzung des bilateralen Wegs ist es zwar grundsätzlich möglich, zum einen konkret anstehende Interessen und Probleme zwischen der Eidgenossenschaft und der EU durch bilaterale, sektorspezifische Verhandlungen und Abkommen in pragmatischer Weise zu regeln, zum anderen das bestehende Vertragswerk auszubauen und zu systematisieren, sofern das im beiderseitigen Interesse ist. Allerdings gibt de facto die EU die Richtung vor.
Mittlerweile wird in der Schweiz der Wunsch nach einem „Dachabkommen“ artikuliert, das zum einen die bestehende Unübersichtlichkeit in den insgesamt über 100 Vereinbarungen ein wenig beseitigen könnte, zum anderen einen Rahmen für einen ständigen politischen Dialog bieten soll.