Juristen kritisieren bereits die Unverhältnismäßigkeit der Strafen in einigen Fällen und sehen eine Welle von Berufungsverfahren auf die britische Justiz zukommen. Wer glaubt, Jugendgewalt durch härtere Bestrafung eindämmen zu können, irrt, so die Meinung von Psychologen.
Fälle, in denen Jugendliche exzessiv gegen Menschen und Sachen vorgehen einer davon wurde gerade in Berlin vier Monate nach der Tat auf einem U-Bahnhof, verhandelt rufen jedes Mal Befürworter härterer Strafen auf den Plan und mobilisieren Kritiker einer angeblichen Kuschelpädagogik.
Bei dem Ruf nach härterer Bestrafung wird völlig übersehen, dass frühe Strafmündigkeit und harte Strafen dort, wo sie seit Jahren praktiziert werden, zu keinem Erfolg geführt haben. Nun ist in Großbritannien, wo Kinder bereits mit 10 Jahren strafmündig sind, die Gewalt besonders eskaliert. Wer sich durch zehn Jahre Haftstrafe nicht abschrecken lässt, den beeindrucken auch 15 Jahre nicht, so Dr. Anja Kannegießer, Vorstandsmitglied der Sektion Rechtspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Sicher sei dagegen, dass präventive Maßnahmen wirken, die bereits im Vorschulalter einsetzen sollten. Sicher sei auch die positive Wirkung evaluierter sozialer Trainingsprogramme und Antiaggressivitätskurse.
Zudem müsse, so Kannegießer, im Jugendstrafvollzug durch sozialtherapeutische Konzepte stärker auf eine künftige Sozial- und Legalbewährung hingearbeitet werden. Der Gesellschaft hilft das auf lange Sicht mehr. Statt die Verantwortung für junge Gewalttäter an die Gerichte abzugeben, sollte sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Vermeintlich einfache Lösungen werden nicht den gewünschten Erfolg haben. Während Strafen häufig Kränkung, Hass, Trotz und Unsicherheit erzeugen und mehrheitlich kaum abschrecken, bestehe das Ziel von Erziehung in einer positiven Hilfestellung zur Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, so Elisabeth Noeske aus dem Vorstand der Sektion Klinische Psychologie im BDP. Strafe allein dagegen könne zwar zu vorübergehender Anpassung führen, nicht jedoch zur Selbstregulation im Prozess des Erwachsenenwerdens. Sie bewirkt, so Noeske, keine wirklichen Verhaltensänderung und erschwert eher einen positiven Entwicklungsprozess, statt ihn zu fördern. Eine Null-Toleranz-Politik verändere schließlich nicht die Gesellschaft, verhindere nicht ihren Zerfall und ignoriere vor allem die eigentlichen Ursachen für Fehlentwicklungen wie Armut, mangelnde Bildung und Aussonderung unter einer größer werdenden Zahl von Jugendlichen. Nötig sei stattdessen Konfliktbearbeitung durch einfühlende, gleichzeitig Grenzen setzende Beziehungsarbeit.