Jeder der sich in Deutschland mit politischer Onlinekommunikation befasst kommt an einem Namen nicht vorbei: Christoph Bieber. Mit seiner Dissertation („Politische Projekte im Internet – Online-Kommunikation und politische Öffentlichkeit“, 1999) war er einer der ersten, der sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema befasste. Mittlerweile sind viele Blogeiträge, Aufsätze und Bücher dazu gekommen. Wie etwas das Buch „Politik Digital. Online zum Wähler“ welches im blumenkamp Verlag (Preis 15 Euro) erschienen ist.
Darin entwirft Bieber, analog zu Max Webers „Politik als Beruf“ aus dem Jahre 1919, ein Berufsbild des Politikers im Jahr 2010. Sie twittern aus dem Bundestag, ändern ihren Beziehungsstatus bei Facebook, produzieren Video‐Podcasts und laden ihre Reden auf YouTube hoch.
In Zeiten überalterter Mitgliederparteien, sinkender Wahlbeteiligung und eines dauerhaft schlechten öffentlichen Ansehens blicken Politiker und Parteien immer sehnsuchtsvoller auf das Internet und hoffen auf digitale Impulse für Öffentlichkeit und Demokratie, analysiert Biber.
Seine Kernthese: Das Internet verändert unser Handeln, und nicht nur unser Denken. Als Beleg dafür nennt der Autor Ereignisse der vergangenen Jahre, die den Alltag unmittelbar beeinflusst haben: Die durch eine beispiellose Internet‐Kampagne vorbereitete Wahl von Barack Obama zum US‐Präsidenten im November 2008 etwa. Oder das aufkommen der Piratenpartei.
Christoph Bieber nimmt in den Blick, wie sich Netz und Politik zueinander verhalten. Die großen Parteien in Deutschland sieht er dabei ehr als Hemmschuh. Als zentral, so der Politikwissenschaftler, scheine der Dialog zwischen dem Zustand des politischen Offline-Systems und einer mehr oder weniger diskussions- und aktionsfreudigen Online-Öffentlichkeit zu sein.
[pullquote align=“left“] Zukunft der Parteien [/pullquote]Die digitale Herausforderung zeigt sich am deutlichsten bei Fragen zur Zukunft von Parteien und Wahlen: haben die großen Mitgliederorganisationen in Zeiten von Echtzeitkommunikation und der flexiblen Organisation des Kommunikations‐Alltags überhaupt noch eine Zukunft? Sind Urne und Stimmzettel attraktive Mitmach‐Angebote für die Eingeborenen des digitalen Zeitalters? Kann eine kollektiv verbindliche Entscheidungsfindung unter den Bedingungen zersplitterter Öffentlichkeiten, dem long tail der Politik, noch funktionieren? So spannt er den Bogen zur Medialisierung des Wählens und zur Frage, ob es bei uns in Zukunft Wahlcomputer geben könnte.Seine These: Im Spannungsfeld zwischen Alter und Neuer Welt könnte eine produktive Zukunft für politische Prozesse, Inhalte und Strukturen liegen, eben weil das Internet unser Handeln, nicht nur unser Denken, verändert.Das alles serviert der Autor mehr im Stile eines Politik-Lesebuchs als eine Politikwissenschaftliche Arbeit, ohne dabei den wissenschaftlichen Anspruch vermissen zu lassen. Und grade das macht das Buch so lesenswert.