In der Öffentlichkeit wird die Entscheidung der obersten europäischen Richter heftig kritisiert und als so genanntes Skandalurteil gebrandmarkt. Diese pauschale Kritik geht jedoch am Kern des Problems vorbei, sie geht in die falsche Richtung. Nicht die EU-Richter haben die Probleme verursacht oder zu verantworten, Deutschland hat in dieser Hinsicht seine Hausaufgaben nicht gemacht!
Allen mit den Problemen des Strafvollzugs befassten Personen und damit auch den politisch Verantwortlichen in den Justizministerien der Länder musste seit 1998, als die Befristung der Sicherungsverwahrung aufgehoben wurde, klar sein, dass es im Bereich des Vollzugs gravierender Änderungen bedarf und die Ausgestaltung dieser Maßregel der Besserung und Sicherung grundsätzlich neu zu konzipieren ist. Dazu gehört auch, dass das zu Recht geforderte Abstandsgebot zur Strafhaft einzuhalten ist. Wer freilich glaubte, eine Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung allein dadurch erreichen zu können, dass zum Beispiel mehr Freizügigkeiten gewährt werden, befand sich auf dem Holzweg. Die Sicherungsverwahrung als die belastendste Maßnahme für einen Straftäter muss an besondere Kriterien gekoppelt sein. Besonders zu nennen sind hier die Therapieangebote bereits während der vorgelagerten Strafhaft und eine differenzierte Unterbringung, die die größere Freizügigkeit besonders betont.
All diese Aspekte und Erfordernisse sind durch die Politik geradezu sträflich ignoriert worden; die Folgen sind gravierend. Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern immer dann nach härteren Strafen und Sicherungsmaßnahmen rufen, wenn sich sensationelle Verbrechen und spektakuläre Vorfälle ereignet haben. Solche Ereignisse werden von einer sich rasant verändernden Mediengesellschaft begierig aufgesogen und populistisch vermarktet. Als kontraproduktiv erweisen sich politische Maßnahmen aber immer dann, wenn notwendige Konsequenzen für die Behandlung und Betreuung von Straftätern mit Blick auf die Kosten unterbleiben.
Zugleich blendet die Politik nahezu vollständig aus, dass alle Strafen zeitlich befristet sind und es im Hinblick auf die Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf, um sie gerichtsfest zu machen. Eine sehr bedenkliche und rechtlich unzulässige nachträgliche Bestrafung ist spätestens dann anzunehmen, wenn sich die Sicherungsverwahrung vom Strafvollzug kaum unterschiedet.
Es reicht nicht aus, zwar auf spektakuläre Ereignisse mit gesetzgeberischen Restriktionen zu reagieren, eine sachgerechte Ausgestaltung dieser Maßnahmen aufgrund finanzwirtschaftlicher Zwänge aber zu unterlassen. Damit werden die Probleme nur in die nächste Legislaturperiode verlagert. Die Kritik hat auch bei den Bundesländern anzusetzen, die die unterschiedliche inhaltliche Gestaltung der Strafhaft und der Maßregel der Besserung und Sicherung längst hätten in Angriff nehmen müssen.
Inzwischen ist in der Bundesrepublik eine unverhältnismäßig aufgeheizte Situation zu beklagen. Allein die Ankündigung der beabsichtigten Unterbringung von Sicherungsverwahrten am eigenen Wohnort führt zu massiven Protesten. Aufgrund von falschen Strategien – wie etwa die Teilprivatisierungen von Justizvollzugsanstalten – wurde das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und dessen Organe nachhaltig beschädigt.
Um den berechtigten Interessen der in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden Bevölkerung Rechnung zu tragen, sollte das Grundrecht der freien Wohnungswahl für entlassene Sicherungsverwahrte zeitlich begrenzt eingeschränkt werden können. Problematische potentielle Gefährdungskonzentrationen könnten auf diese Weise verhindert werden.
Insellösungen, wie sie ein Vertreter einer Polizeigewerkschaft vorgeschlagen hat, sind der falsche Weg. Vorschläge dieser Art sind überflüssig, fachlich falsch und allenfalls talkshowtauglich.
Der BSBD sieht aufgrund der gesetzlichen Neuregelung bereits vor dieser Verhandlung die Gefahr, dass weitere Änderungen notwendig werden könnten. Grundsätzlich hält die Fachgewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten die jüngsten Änderungen durch das Therapieunterbringungsgesetz für akzeptabel. Notwendig erscheint es jedoch, Therapieangebote bereits in der Strafhaft und zwar nicht nur für die von der Sicherungsverwahrung Bedrohten zu unterbreiten. Dabei ist es wichtig, eine angemessene und an den Erfordernissen des Einzelfalles ausgerichtete Therapie anzubieten. Eine qualitativ hochwertige und auf den Einzelnen zugeschnittene Therapie ist der Schlüssel zum Erfolg. Verantwortlichen und der interessierten Öffentlichkeit sollte allerdings klar sein, dass ein Restrisiko bei noch so großen Anstrengungen bestehen bleiben wird.
Die Öffentlichkeit kann vor kranken wie resozialisierungsunfähigen Straftätern weitestgehend geschützt werden. Eine Lösung muss noch für jene Straftäter gefunden werden, die für eine Unterbringung in der Forensik zu gesund sind, jedoch ein enormes Sicherheitsrisiko für die Allgemeinheit darstellen. Natürlich bewegt sich die Politik in diesem Bereich in einer juristischen Grauzone, die erst durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beseitigt werden kann.