Ob ein Politiker, der in ein Strafverfolgungsverfahren verwickelt ist, zurücktritt oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, ob zeitgleich ein mediales Großereignis stattfindet. Eine Fußball-Weltmeisterschaft oder eine Naturkatastrophe machen einen Rücktritt weniger wahrscheinlich. Das haben zwei Forscher der Hamburg Media School (HMS) in einer aktuellen Studie nachgewiesen.
Der Rücktritt eines strafverfolgten Politikers, hängt nicht allein von der schwere des Falls ab, sondern auch davon, ob und wie stark in den Medien darüber berichtet wird. „Die Medien berichten deutlich weniger über Fälle einer Immunitätsaufhebung im Zuge der Strafverfolgung, wenn ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen durch zeitgleich stattfindende, konkurrierende Geschehnisse gebunden sind“, erläutert Dr. Marcel Garz, Leiter der Media-Bias-Forschungsgruppe an der Hamburg Media School.
Für ihre Untersuchung haben die beiden Forscher 269 Fälle der Immunitätsaufhebungen deutscher Abgeordneter seit 2005 untersucht und über 700 damit in Verbindung stehende Artikel in sechs überregionalen deutschen Tageszeitungen ausgewertet. „Auch wenn nicht alle Immunitätsaufhebungen mit einer Verurteilung enden, so hat uns zunächst einmal die hohe Zahl der Fälle überrascht“, so Garz. „Interessant war aber vor allem, mit welcher Deutlichkeit wir den Verdrängungseffekt von Großereignissen auf die Berichterstattung nachweisen konnten.“ Zwischen Berichterstattung und Rücktrittwahrscheinlichkeit besteht demnach nicht nur ein statistischer, sondern auch ein kausaler Zusammenhang. Das Ausmaß der Beeinflussung ist erheblich: Wenn wegen eines konkurrierenden Ereignisses nicht über eine Immunitätsaufhebung berichtet wird, geht die Rücktrittswahrscheinlichkeit gegen Null.
„Unsere Studie verdeutlicht, dass die Medien eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, strafverfolgte Politiker für ihre Handlungen verantwortlich zu machen“, so Garz. „Journalisten, die ihre Kontrollfunktion ernst nehmen, sollten aufpassen, dass sie nicht Opfer eines geschickten Timings von Immunitätsverfahren werden.“ Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Politiker nur deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil die Berichterstattung über Olympia wichtiger erscheint.