Die SPD sollte jetzt vieles überdenken und ihre Kampagne überarbeiten, rät Frank Stauss. Wir haben den Werber zum Interview getroffen.
Herr Stauss, was macht einen guten Wahlkampf aus?
Ein guter Wahlkampf ist ein Wahlkampf, in dem etwas passiert. Das ist wie bei einem Endspiel: Es gibt kein Unentschieden, alle müssen alles geben aber nur einer wird gewinnen – und sei es in der 93. Minute der Nachspielzeit.
Und wie wird man das Team, das am Ende als Sieger vom Platz geht?
Wie bei jedem guten Team geht es um eine perfekte Mannschaftsaufstellung und ein klare Strategie, die alle gemeinsam verfolgen. Die Fallen, die einem im Wahlkampf gestellt werden – oder die eigenen Fehler die man macht – dürfen das Team nicht aus dem Tritt bringen. In jeder Kampagne gibt es Rückschläge. Selbst in den erfolgreichsten Kampagnen, an denen ich beteiligt war, gab es zwischendurch eine Schwächephase. Aber wenn die Strategie klar ist, dann kann man darauf immer wieder zurückkommen.
Wie sieht es bei den aktuellen Kampagnen zur Bundestagswahl aus? Können wir noch auf einen spannenden Wahlkampf hoffen?
Die SPD muss jetzt angreifen. Die Partei ist in der Defensive und liegt hinten. Wenn sie jetzt nicht angreift wird es nichts mehr. Dafür muss die SPD mutig sein und Peer Steinbrück wieder von der Leine lassen. Er ist ein guter Wahlkämpfer. Ich habe mit ihm auch schon einen Wahlkampf gemacht. Er ist einfach ein begnadeter Redner. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hat er ein wenig Honigmilch getrunken. Dadurch sind wir in einer eingeschlafenen Phase des Wahlkampfes. Aber es ist klar: wenn jetzt nichts mehr passiert wird die CDU gewinnen.
Liegt das auch an den Formaten. Die SPD hat ja von Anfang an sehr stark auf Hausbesuche und persönliche Begegnungen gesetzt. Das ist nicht grade die richtige Bühne für einen guten Redner.
Die SPD muss alles überdenken. Im Sommer gibt es auch eine Phase, in der man ohne Probleme eine Woche in Klausur gehen kann. Dabei muss alles, die Formate, die Grundlinie, die Formulierungen, auf den Prüfstand. Und ich sage es mal so: Überall muss eine Schüppe drauf.
Wie ernst ist die Lage für die Sozialdemokraten?
Wenn sie die Kurve nicht kriegen endet es im Abgrund. Genau das ist das Unberechenbare an diesem Wahlkampf. Denn die SPD hat schon in mehreren Wahlkämpfen bewiesen, dass sie eben diese Kurve kriegen kann.
Also sehen sie trotz der schlechten Situation noch einen Hoffnungsschimmer?
Wir haben eine Situation, die auch für die Regierungskoalition nicht befriedigend sein kann. Wenn wir uns den Zustand der SPD-Kampagne anschauen und die Zustimmungswerte für die Bundeskanzlerin, müsste Schwarz-Gelb eigentlich bei über 50 Prozent liegen. Da liegen sie aber nicht. Das deutet darauf hin, dass die Regierung große Schwierigkeiten hat, eine Mehrheit in der Bevölkerung zu bekommen. Viele sind mit Angela Merkel zufrieden, aber nicht mit Schwarz-Gelb.
Sie sagen, dass ein Politiker sich in Deutschland sehr anstrengen muss, um abgewählt zu werden. Nutzt der Kanzlerin diese Trägheit?
Es ist eben die Aufgabe der SPD den Grund zu liefern, warum diese Regierung abgewählt werden muss. Ich habe das Gefühl, dass die aktuelle Regierung einer fundiert vorgetragenen Attacke herzlich wenig entgegenzusetzen hat. Die innenpolitische Bilanz ist mehr als bescheiden. In den letzten vier Jahren ist wenig passiert. Deutschland erntet eher die Erfolge, die von den Vorgängerregierungen gesät wurden. Die Regierung lebt ausschließlich davon, wie Angela Merkel sich international bewegt, aber nicht von der Regierungspolitik.
Wenn es so einfach ist, warum liefert dann die SPD diese Gründe nicht?
Die SPD ist mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Gegner. Die Frage ist, ob es die SPD schafft, die Inhalte zu kommunizieren. Das kann nur eine geeinte Partei mit dem Kandidaten, dem Parteivorsitzenden und der Generalsekretärin. Die drei verantworten den Wahlkampf, und sie müssen sichtbar zusammen stehen und sich nicht gegenseitig in die Parade fahren.
Diese Geschlossenheit, die sie so wichtig finden, war in der Vergangenheit nicht oft zu sehen. Eher das Gegenteil: Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück fahren sich gegenseitig in die Parade. Und die CDU scheint darauf zu setzen, dass durch eine Demobilisierung viele SPD-Wähler am 22. September zu Hause bleiben.
Wenn das eine Strategie ist, ist es die demokratieverachtende Strategie. Aber im Prinzip funktioniert es: Wenn die eigenen Leute nicht an den Sieg glauben, dann bleiben sie zu hause. Das hat nicht die CDU erfunden, die Demobilisierung der SPD kommt von der SPD. Das ist auch das Erbe der Agenda-Politik, die über viele Jahre die Partei gespalten hat – ob sie nun richtig war oder nicht.
Also ist die Agenda 2010 bis heute eine Belastung für die SPD, von der sich die Partei nicht erholt hat.
Ich hatte den Eindruck, dass Peer Steinbrück mit der Berufung des Agenda-Kritikers Klaus Wiesehügel in sein Schattenkabinett genau daran arbeitet. Die beiden wären ein gutes Gespann gewesen. Dafür hätte man es allerdings prominenter ausspielen müssen. Aber man sieht daran: Peer Steinbrück ist ein Typ, der sich auch andere Meinungen holt. Er liebt den Diskurs. Im Kabinett Steinbrück würde wirklich diskutiert werden.
Nur ist die Ernennung des IG-Bau-Vorsitzenden Klaus Wiesehügel nicht so eingeschlagen wie erhofft.
Peer Steinbrück hat drei interessante Namen in seinem Kompetenzteam. Ich frage mich, was die anderen acht da machen. Die nehmen nur Aufmerksamkeit von den interessanten Personen. Bei jeder Pressekonferenz gab es vierer Teams, wo alle untergegangen sind. Die Bandbreite der SPD zeigt sich mit Peer Steinbrück, mit Gesche Joost und Klaus Wiesehügel ziemlich gut.
Aber die Partei wollte vielleicht mehr Personen…
Kein Mensch verlangt nach 12 Schattenkabinettsmitgliedern.
Parteien sind nicht vergleichbar mit Unternehmen. Es kommt hier mehr auf Proporz und Ausgeglichenheit an.
Nichts macht attraktiver als Erfolg. Wenn die Strategie erfolgreich ist, ist sie attraktiv. Jetzt haben wir 12 Leute, die nach Proporz ausgesucht wurden und alles ist verpufft. Ist jetzt irgendjemand glücklich damit?
Wahrscheinlich nicht. Sie haben gesagt, die erfolgreichste Kampagne die sie geführt haben war der Wahlkampf für Olaf Scholz in Hamburg. Warum war grade diese Kampagne so erfolgreich?
Damals stimmte einfach alles. Das Timing war perfekt, Hamburg war damals reif für einen soliden Politiker an der Spitze. Olaf Scholz ist dann eine breit angelegte Kampagne gefahren. Er gewann denn Vorsitzenden der Handelskammer als Finanzsenator, damit hatte er die SPD weit ins bürgerliche Lager wählbar gemacht. Und er hatte den Leuten signalisiert, dass er sich auch um das Soziale kümmert. Das alles ebnete der SPD in einer bürgerlichen Stadt den Weg zu einer absoluten Mehrheit. Der Kandidat passte zur Partei und zur Situation, und die Partei hat sich zum bürgerlichen Lager geöffnet. So kommt man auf eine absolute Mehrheit.
Die Situation, der Kandidat, das Timing. Was kann denn ein Werber wie sie ausgleichen wenn es bei den Faktoren Defizite gibt?
Wir erleben momentan wie man versucht vermeintliche Schwächen von Peer Steinbrück zu korrigieren. So etwas ist Quatsch. Das schafft man in einem Wahlkampf gar nicht. Wenn sie als Werber das Gefühl haben, Frau Merkel ist zu dröge, dann wäre es das schlimmste, sie in Situationen zu zeigen, in denen sie mit der Hand auf den Tisch haut. Dann würde das ganze Bild von ihr zusammenbrechen. Eine Kampagne muss die Stärken stärken und die Schwächen ignorieren. Das ist die Hauptaufgabe.
Sie haben über ihren Job einmal gesagt, dass es ihre Aufgabe ist, aus den Politikern die Ideale rauszuarbeiten. Gehen diese im Laufe der Zeit verloren?
Sie sind zwar noch da, aber sie werden verschüttet. Deshalb will ich sie wieder freilegen. Viele Politiker haben sich im Laufe ihrer Karriere spezialisiert, dabei gehen auch Aspekte verloren. Politik ist wahnsinnig viel Arbeit. Da machen sich viele gar keine Vorstellung von. Meine Aufgabe ist, den Enthusiasmus wieder zu wecken. Denn niemand kann besser überzeugen, als jemand, der von sich überzeugt ist.
Wie wecken sie denn bei den Kandidaten den Enthusiasmus früherer Tage?
Das mache ich mit zwei, drei interessanten Gesprächen. Wie reden über die Vergangenheit, die Familie, und auch die Frage, warum die Person in die Politik gegangen ist. Meine Gesprächspartner sind alle Menschen, welche die Rosskur schon hinter sich haben. Wenn man den Idealismus freilegen und mit einer Programmatik verbinden kann, dann ist eine gute Basis.
Sie waren im Wahlkampf 1994 mit Rudolf Scharping auf einer Sommertour durch Deutschland. Alle Begleiter auf der Tour wurden regelmäßig ausgewechselt, nur der Kandidat musste immer weiter machen. Wie anstrengend ist so etwas für den Kandidaten?
Die Strapazen im Wahlkampf sind unglaublich. Ich verstehe nicht, warum die Spitzenkandidaten nicht krank werden. Das muss mit dem Adrenalin zu tun haben. Die sind ununterbrochen auf den Beinen. Als ich für Frank-Walter Steinmeier Wahlkampf gemacht habe ging es um ein Fotoshooting. Irgendwann wurde gesagt, der Termin sei am Dienstag um halb sechs. Darauf sagte ich, dass wir dann darauf achten müssen, dass es noch hell genug ist. Es war aber halb sechs Uhr Morgens gemeint. Ich habe nur gesagt: Niemand sieht um halb sechs Morgens gut aus. Aber es war der einzige Termin der in der ganzen Woche noch frei war.
Der Wahlkampf für Steinmeiner war 2009, der für Scharping 1994. In der Zeit hat sich auch das Mediensystem sehr stark verändert.
Wir haben über die Jahre eine zusätzliche Belastung bekommen. Die Nachrichtenzyklen haben sich verschoben. Als ich für Scharping Wahlkampf gemacht habe, begann der Nachrichtenzyklus morgens mit einer Tageszeitung und endete abends mit der Tagesschau. Dazwischen gab es ein bisschen Radio. Und damals dachten wir schon, das sei viel. Heute gibt es 24 Stunden Nachrichten. Und als Wahlkämpfer müssen sie müssen ständig beobachten, ob irgendwas über Twitter aufkommt. Sie sind dadurch im Dauerstress.
Aber das Internet mit seinen Netzwerken und Nachrichtenseiten eröffnete ja auch für die Kampagnen neue Möglichkeiten.
Das kuriose daran ist, dass dies zu einer Versimplifizierung von Politik geführt hat. Es gibt eine immer diversifiziertere Medienlandschaft, dadurch werden die Botschaften immer simpler. Das ist genau das Gegenteil von dem, was man erwarten würde. Anstatt eine speziell massgeschneiderte Botschaft auch noch für den einzigen einbeinigen Fliegenfischer in Bayreuth zu haben, geht man immer mehr zu simplen Botschaften über, mit denen man alle erreicht. Selbst Obama machte das mit „Yes we can“ so.
Aber das war doch sein Slogan und nicht seine ganze Botschaft.
Das war beides. Da steckte eine ganze Menge Politik drin. Aber ganz oben war eine simple Botschaft. Bei uns ist das im Prinzip auch so. Damit wir dort alles drunter zusammenfassen können. Wie bei einer Pyramide steht oben die Botschaft, darunter kommen die Themen.
Trotzdem schauen viele mit großer Faszination auf die amerikanischen Wahlkämpfe. Fast ein bisschen sehnsüchtig.
Man schaut drauf, weil dort die großen Emotionen sind. Aber es wird auch einiges verwechselt. Wir haben ein anderes Wahlsystem. In den USA kann man die Kandidaten wählen, dort steht nicht nur die Partei auf dem Wahlzettel. Das macht einen großen Unterschied. Weil es so persönlich ist, zählt die Repräsentation, dadurch kommt auch die Familie des Kandidaten ins Spiel. Und die Amerikaner machen Demokratie schon 150 Jahre länger als wir, daraus hat sich auch eine andere Kultur entwickelt.
Wenn Politik so ein kräftezehrendes Geschäft ist, wer ist überhaupt noch bereit sich den Job anzutun?
Die Frage ist weniger, ob der Politiker es noch machen will. Sondern was für Politiker wir wollen? Wie gehen wir mit ihnen um? Politiker sind die Fußabtreter für viele Probleme. Dabei muss man sehr aufpassen, dass man die Demokratie nicht kaputt macht indem man die Politiker immer verantwortlich macht. Wenn wir nur noch Politiker wollen, die Sätze sagen, bei denen keiner weiß, was gemeint ist – und da ist Frau Merkel schon sehr nah dran – dann werden wir damit leben müssen.
Das ist jetzt aber ein sehr düsteres Bild was sie zeichnen.
Ich habe an vielen Infoständen gestanden. Wenn sie das überstanden haben – vor allem als Sozialdemokrat in Baden-Württemberg – ist das eine gute Grundausbildung. Und nur weil ich das überstanden habe bin ich heute so ein guter Wahlkämpfer. Und eins dürfen wir nicht vergessen: Das kuriose ist doch das so vielen Menschen an den Ständen der Parteien stehen bleiben. Das finde ich faszinierend. Und wenn rund 45 Millionen Leute in Deutschland – so viele waren es bei der letzten Bundestagswahl – wählen gehen, dann ist das für mich der Beweis, was für eine wahnsinnige Kraft unsere Demokratie hat.
Frank Stauss hat über zwanzig Wahlkämpfe für SPD-Politiker wie Gerhard Schröder, Olaf Scholz, Frank Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück geführt. Aktuell berät der den Vizekanzler und Außenminister Österreichs, Michael Spindelegger. Über seine Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben: Höllenritt Wahlkampf, erschienen bei DTV.
Aufgewachsen in Baden-Württemberg gründete er an seiner Schule eine Juso-Gruppe. Weil er mehr Spaß am verkaufen als an der inhaltlichen Arbeit hatte studierte Frank Stauss in Heidelberg und Washington Wahlforschung und Campaigning. 1989/90 half er beim Aufbau der SPD in der DDR. 1990 ging er mit einem Fulbright Stipendium nach Washington, wurde 1991 Praktikant bei Senator Al Gore wechselte ein Jahr später als Mitarbeiter in die Clinton/Gore Kampagne. In Deutschland begann er als Konzeptioner und Texter bei der Agentur Butter in Düsseldorf, die er heute als ist geschäftsführender Gesellschafter leitet.