Der Griff in die Hose ist für die meisten Menschen erregender als der Griff in die Tasche, es sei denn, man hat eine sehr kalte Hand. Irgendwann dürfte die Erregung aber auch mal wieder abflauen, sei es durch die Überwindung des Höhepunkts, oder weil etwas anderes wichtiger geworden ist. Die Grünen sind in dieser Angelegenheit sehr standhaft. Nach einem Sommer voller Vorhäute haben sie es geschafft, die Beschneidungsdebatte bis in den Hannoveraner November warmzuhalten. Die Zahl der Anträge über das Contra (und ein bisschen) Pro einer religiös motivierten Hautabtrennung am kindlichen Penis konkurrierte auf der Bundesdelegiertenkonferenz heftig mit den Vorträgen zur Europapolitik. Wer braucht schon Europa, wenn er eine Vorhaut hat?
Irgendwie – liebe Aufgeklärten, Besserchristen, Menschenrechtler, Ethiker – habt ihr ja recht. Über Pekuniäres, gerade aus der eigenen Tasche, wurde wahrlich genug sinniert. Endlich wird über Geschlechtsorgane geredet. Endlich wird in unserer mit sexuellen Reizen überschwemmten Gesellschaft pragmatisch über Aussehen, Funktionsweise und Hygiene des männlichen Zipfelchens diskutiert. Dabei lassen sich Vorhautträger leicht vom Rest unterscheiden: Erstere blasen sich auf, als ginge es um die Kastration ihres besten Stücks, Letztere erzählen ungefragt von ihrem Sexualleben mit weniger Haut.
Ein weiteres unerwartetes Plus des Penis-Hickhacks: Selten dürften sich Muslime und Juden in Deutschland so verbunden gefühlt haben wie in diesen Monaten. In inniger Umarmung stellen sie sich dem Shitstorm, den Vorwürfen der Misshandlung ihrer eigenen Kinder, den Beschuldigungen, zeitgeistresistent zu sein und menschenfeindlichen Traditionen zu folgen. Dabei sollten sich die Muslime längst benachteiligt fühlen, hintergangen gar. Der Auslöser der Debatte war schließlich die schiefgegangene Beschneidung eines muslimischen Vierjährigen. Inzwischen spricht jeder nur noch über die Juden und überstrapaziert genüsslich den Holocaust als Referenzpunkt. Hier ein Rabbi, da ein Rabbi, dort eine Charlotte Knobloch. Der Zentralrat der Muslime hat zwischendurch versucht, mit seiner Bestürzung über das Kölner Beschneidungsurteil reinzugrätschen, was aber nicht so sehr interessiert hat. Für die Statistiker: Etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung ist beschnitten, 70 Prozent davon sind Muslime, ein Prozent Juden. Nein, die Juden wohnen nicht alle in Deutschland.
Kanzlerin Merkel ließ kurz nach der Gerichtsentscheidung verlauten, sie wolle nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt sei, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben könnten. „Wir machen uns ja sonst zur Komikernation.“ Es mutet in der Tat komisch an – und da wird’s leider überhaupt nicht witzig, sondern ärgerlich – dass Eltern künftig keine unwiderruflichen Entscheidungen für ihre Kinder treffen sollen. Ich zumindest bin froh, dass meine Mutter sich frohen Mutes für einen Babypuder entschieden hat, um meinen wunden Popo zu versorgen, ohne mich zu fragen. Vielleicht habe ich auch ein subtiles Langzeittrauma, weil mir Fleisch eingefüttert wurde und ich trotzdem Schweinchen Babe geschaut habe. Wäre ich schlauer, hätte man mich nicht alljährlich und von klein auf mit Karnevalsmusik konfrontiert? Ich werde es nie erfahren.
Wenn wir über die männliche Beschneidung reden, reden wir über eine religiöse Institution, die im Judentum sogar konstitutiv ist. Dass diese Tradition heute nicht mehr in der breiten Öffentlichkeit en vogue ist, ist nicht verwunderlich. Mit gewissen Auflagen darf man aber auch mal Dinge tun, die nicht zu der Bessergesellschaft des 21. Jahrhunderts passen – zumal die Technologien dieser Bessergesellschaft es mit sich bringen, dass auch die Entfernung der Vorhaut nötigenfalls reparabel ist. Demnach ist die Beschneidungsdebatte eine Farce: Sie hüllt die allgegenwärtige Angst vor Überfremdung in ein medizinisch-ethisches Kleid, dessen Stil jeder mal gerne kommentiert. Die Kölner haben es vorgemacht: „Kenne mer net, bruche mer net, fott domet.“